Tourneur
von Yalda Afsah
Ein Stierkampf im Süden Frankreichs. Weißer Schaum fließt in die Arena und trübt die Sicht von Tier und Mensch. „Tourneur“ zeigt junge Männer im Ring mit einem Bullen – zwischen archaischer Bezwingungsgeste und moderner Tanzgebärde. Hochartifiziell und surreal verbinden sich Bild und Ton, Vorder- und Hintergrund, On und Off. Bis der Stier mit einem Mal die Inszenierung durchsticht.
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Synopsis
Es zittert und zuckt eine Wand aus Schaum – zäh, wabernd, windsensibel. Wie Urmaterie im Milchstraßensystem greift sie Raum, teilt sich, verbindet sich, stülpt sich über das tiefenlose Schwarz des Hintergrundes, wandert nach vorne, wandert nach hinten, wandert zur Seite: ein abstrakter, molekularer, mythischer Tanz der Substanz. Dann: menschliche Bewegungen, dunkle Silhouetten, das Geräusch von Schuhen auf gröberem Sand. Junge Männer rennen durchs Bild, von links nach rechts; sie durchschneiden den Kader – flüchtig, ängstlich, spielerisch.
"Tourneur" zeigt einen Stierkampf im Süden Frankreichs. In einem Rondell messen sich Jugendliche mit der animalischen Stärke; sie schleichen und sprinten, sie provozieren und gehen in Deckung, sie fühlen vor und schrecken zurück. Sie tragen Turnschuhe und Käppi; einige schnallten sich einen kugelförmigen Schutzanzug um den Leib – wie einen futuristischen Raumanzug. Zugleich und permanent fließt weißer Schaum in die Arena, er türmt sich und trübt die Sicht – die des Publikums jenseits der Zäune, die der Kämpfer, die des Bullen und auch die unsere. Das Tier sehen wir lange nicht. Wir ahnen ihren Ort, wir sehen die Blicke, die sie sehen, sehen die Naturkraft nur als Potenzial. Akustische Akzente füllen den abstrakten Bildraum: das Fließen des Schaumes, das Schaben und Schnauben des Kampftieres, die raschelnden Schritte der jungen Krieger.
Yalda Afsah führt uns mit ihrem experimentaldokumentarischen Kurzfilm in einen halb tänzerischen, halb kämpferischen Reigen zwischen Mensch und Tier, zwischen Fuß und Hufe, Haut und Leder, Hand und Hörnern. In der opaken Schaummasse moduliert sich der archaisch-ritualisierte Naturbeherrschungstrieb: er wird zum modernen Performance-Akt, zu seiner eigenen Abstraktion. Der Stierkampf verwandelt sich in ein surreales Bewegungsspiel, das sich in immer tiefere Verfremdungsschichten hineinschraubt. Ein hochartifizieller, reduzierter Sound lenkt den Blick durch die virtuos konstruierten Bildräume, während im Off beständig anschwillt, was bald ins On hinüberschwappt. "Tourneur" kehrt seine Konstruktion mit jedem Schnitt an die Oberfläche der Leinwand. Vor den Bildern sehen wir das Gestänge ihrer komplexen Mise en Scène. So liegt die Inszenierung wie ein Schutzanzug über diesem Film. Sie trennt uns von den Aufnahmen, wie der Rondellzaun das Publikum von der Arena. Bis sich das Verhältnis schlagartig umkehrt, der Stier in die Mitte der Leinwand tritt, sich einmal um die eigene Achse dreht, zum Stehen kommt und mitten hineinstarrt in die Linse der Kamera.